Die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen wirken bis ins Jetzt nach. Ein Blick auf die Ereignisse von damals – und die Stadt heute.
Peer Stolle kommt gerade frisch aus der Haft. Es ist Montag, der 24. August 1992, Tag drei der wahrscheinlich massivsten rassistischen Ausschreitungen seit 1945. Der 19-Jährige hatte sich dem Mob in Rostock-Lichtenhagen noch zusammen mit anderen entgegengestellt. Er wurde verhaftet. Jetzt sitzen sie im links-alternativen Jugendzentrum JAZ in Rostock und sehen im Fernseher das Sonnenblumenhaus brennen.
Im Sonnenblumenhaus, einem Plattenbaukomplex, leben zu dem Zeitpunkt ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter:innen der DDR in einem Wohnheim, in der ZASt kommen Asylbewerber:innen unter. Nur 300 Betten gibt es dort, im Frühjahr 1992 sind alle belegt. Es kommen weitere Geflüchtete, aus dem ehemaligen Jugoslawien und Rumänien. Sie campieren über Wochen vor dem Haus.
Poutrus beschreibt das als Umlenkungsstrategie, die von den eigentlichen Problemen ablenke und Gewalt als Mittel der Problemlösung legitimiere: „Wenn man sich nur der Ausländer entledigte, würden alle Probleme gelöst werden. Daraus entstand in Ostdeutschland eine explosive Mischung, die es in der BRD so nicht gab.“ Die Rechtsradikalen fühlten sich berechtigt, selbst für das Verschwinden von anders Aussehenden zu sorgen.
Die Polizei ist all die Tage mit zu wenigen Kräften vor Ort. Linke Aktivist:innen versuchen, Präsenz zu zeigen. Am zweiten Tag der Angriffe, dem 23. August, beschließen Peer Stolle und andere, dass sie nach einer ersten Mobilisierung nun genug Leute sind, um einzuschreiten. Am Nachmittag kommen sie zunächst nicht durch die Polizeikette. „Wir haben uns dann später in der Nacht vom 23. zum 24.
Im April 1999 ist Seyhmus Attay-Lichtermann 15 Jahre alt. Seine Eltern fliehen mit ihm und seiner Schwester aus der Türkei – und landen in Rostock-Lichtenhagen. „Ich verstehe noch immer nicht, warum die Behörden uns dort hingesteckt haben“, erzählt Attay-Lichtermann heute. „Wir haben in einem Block direkt gegenüber des Sonnenblumenhauses gewohnt. Und das war damals von Skinheads besetzt.
Heute erinnert sich Attay-Lichtermann, mittlerweile Vorsitzender des 1992 gegründeten Migrantenrats Rostock, schmerzhaft an diese Jahre: „Bis heute habe ich Angst, meine Muttersprache im Bus zu sprechen. Ich habe Angst, wieder angegriffen und angespuckt zu werden.“ Insgesamt habe sich das Stadtbild allerdings spürbar verändert. Mehr Migrant:innen ziehen nach Rostock, die Stadt wird bunter. Auch erlebe er ein Erstarken der lokalen Zivilgesellschaft.
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