Der Angriff von Farhad N. in München beschäftigt Deutschland. Die Frage stellt sich, wie er trotz abgelehnten Asylantrags noch in Deutschland war. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts gibt Einblicke in sein Verfahren.
Acht Jahre und drei Monate liegen zwischen den beiden Tagen, die Farhad N.'s Leben entscheidend verändern sollten. Und die Leben Dutzender anderer. Am 3. Dezember 2016 reist er nach Deutschland ein, damals ist er nach seinen Angaben gerade mal 15 Jahre alt. Er kommt allein, ohne seine Eltern. Acht Jahre und drei Monate später, am 13. Februar 2025, rast er in München von hinten in eine Demonstration der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, verletzt mindestens 39 Menschen.
Zwei davon sind am Tag nach der Tat noch in Lebensgefahr. Farhad N. wird festgenommen. Der Vorwurf: mehrfacher versuchter Mord. Der junge Mann, der sich auf Instagram und Tiktok in modischer Kleidung zeigte, seinen vom Bodybuilding gestählten Körper präsentierte, soll aus einer islamistischen Motivation heraus gehandelt haben. Am Freitagabend hat der für Terrorverfahren zuständige Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen. In den betroffenen Statements des Kanzlers, des Ministerpräsidenten, von fast allen Politikerinnen und Politikern, die sich in den Stunden danach zu der Tat äußern, klingt es durch: Schon wieder ein junger Mann aus Afghanistan, der eine unfassbare Gewalttat verübt. Schon wieder ein abgelehnter Asylbewerber. Die Frage, die knapp eine Woche vor der Bundestagswahl mindestens unterschwellig auch zum Thema der sowieso flammenden Migrationsdebatte wird: Wieso war Farhad N. noch in Deutschland? Ein Urteil des Verwaltungsgerichts München, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, gibt Einblicke in das Asylverfahren des Afghanen. Aktenzeichen M 25 K 17.48375, ergangen am 9. Oktober 2020. Es füllt 17 Seiten, auf denen ausgeführt ist, wie Farhad N. nach Deutschland kam – und dass er wohl gelogen hat bei der Geschichte, mit der er begründen wollte, weshalb er hier Anspruch auf Asyl habe. Den Asylantrag hatte er am 14. Februar 2017 gestellt, fast auf den Tag genau neun Jahre, bevor er seinen cremefarbenen Mini Cooper in München in die Menschenmenge steuerte. Zweimal wird er angehört beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Er erzählt den Mitarbeitern eine Geschichte, die seine sein soll. Außerdem legt er offenbar ärztliche Atteste vor, wonach er eine posttraumatische Belastungsstörung hat, eine Schlafstörung, Flashbacks. Seine Impulskontrolle sei gestört, sein IQ „unterdurchschnittlich“. Farhad N. wird 2001 in Kabul geboren, er wächst in einem kriegserschütterten Land auf. N. ist afghanischer Tadschike und Sunnit. Er geht in Afghanistan zur Schule, bis zur siebten Klasse. Danach arbeitet er als Fliesenleger. So weit zu den Dingen, die man ihm beim Bamf offenbar glaubt. Was man ihm nicht abnimmt sind die Umstände seiner Flucht, die ihn offenbar erst nach Iran führt, dann weiter, übers Mittelmeer bis Italien, von dort dann nach Deutschland. Sein Vater, erzählt Farhad N. damals, habe in Afghanistan einen Laden gehabt. Eine kriminelle Bande aber habe die Konkurrenz loswerden wollen – und den Vater umgebracht. Die Täter seien zwar verurteilt worden und im Gefängnis gelandet. Nach ihrer Entlassung habe die Familie noch einmal Anzeige erstattet. Woraufhin die Täter die Familie bedroht, Steine auf das Grundstück geworfen hätten. Autos hätten vor seiner Schule gehalten und ihn verfolgt, erzählt Farhad N.. Die Mutter habe ihm gesagt, er dürfe nicht mehr zur Schule gehen, das Haus nicht mehr verlassen. Und er habe beschlossen, zu fliehen. Zwei Jahre lang sei das so gegangen. Dann habe er genug Geld beisammen gehabt, um die Reise anzutreten. Doch die Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) halten das für unglaubwürdig. Am 26. September 2017 lehnen sie den Asylantrag ab. Farhad N. klagt gegen die Entscheidung. Diese Klage wird im Oktober 2020 vor dem Münchner Verwaltungsgericht verhandelt. Auch das Gericht glaubt dem jungen Mann seine Geschichte nicht. Seine Schilderungen: „detailarm und lebensfremd“, so steht es im Urteil. Das Gericht findet es unlogisch, dass Farhad N. seine angeblichen Verfolger nicht namentlich nennen kann, obwohl es ja Urteile gegeben habe, dass er angeblich zwei Jahre lang verfolgt wurde, ohne dass ihm etwas passiert ist. Und dass er das Haus nicht verlassen habe? Er habe doch selbst gesagt, dass er als Fliesenleger gearbeitet hat. Das Verwaltungsgericht ist überzeugt, dass er die Geschichte erfunden hat. Dass der Asylantrag abgelehnt wurde, sei rechtmäßig. Auch könne Farhad N. keinen subsidiären Schutzstatus beanspruchen, weil er weder die Todesstrafe noch Folter oder willkürliche Gewalt zu fürchten habe. Das Gericht sieht damals auch keine Gründe für ein Abschiebungsverbot. Trotzdem durfte Farhad N. in Deutschland bleiben. Die Gründe dafür erläutert die Stadt München auf Anfrage: Als das Verwaltungsgericht im Herbst 2020 den Asylantrag abschließend ablehnte, seien keine Abschiebungen nach Afghanistan vorgenommen worden. Das Land habe als zu unsicher gegolten. Tatsächlich waren damals wegen der Folgen der Corona-Pandemie Sammelabschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan verschoben worden
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