Unsere Autorin ist aufs Land gezogen und merkt: Das Leben hier ist viel gefährlicher als in der Stadt. Und Berliner Radfahrer sind gar nicht lebensmüde.
Unsere Auto rin ist aufs Land gezogen und merkt: Das Leben hier ist viel gefährlicher als in der Stadt. Und Berlin er Radfahrer sind gar nicht lebensmüde.Kati und ich wurden als Kinder jeden Monat mit einem Blumenstrauß zu Paulemutti geschickt. Es war eine Kinder-Erledigung wie das Einkaufen des monatlichen Vogelfutters für den Wellensittich. Auf beiden Wegen musste eine vierspurige Kreuzung inüberquert werden, die damals noch keine Ampel hatte.
Neuerdings lebe ich auf dem Land, wo man Großstädte für gewöhnlich als gefährlich empfindet und sich fragt, wie man da nur freiwillig leben kann. Hier im Dorf aber kennt jeder mindestens einen Verkehrstoten. Denn 60 Prozent aller Verkehrstoten sterben auf Landstraßen. 30 Prozent in Klein- und Großstädten, zehn Prozent auf Autobahnen.
Ich unterrichte online Deutsch als Fremdsprache. Meine Schüler sitzen in Großstädten. Wovor hast du Angst?, frage ich, um die richtige Präposition für „Fürchten“ und „Angst haben“ zu lehren. „Ich habe Angst vorm“, sage ich. Es ist die blanke Wahrheit und ich steigere mich so sehr hinein in meine Verzweiflung, dass den Schülern auch gleich lauter schmerzhafte Worte aus dem Herz fallen. „Einsamkeit“, sagt ein Australier.
„Zu jedem Unfall gehören zwei schlechte Fahrer“, sagte, als ich klein war, mein Stiefvater, der mir viele wichtige Lebensweisheiten mitgegeben hat. Auch die, dass ich kaum irgendwo sicherer sein könnte als nachts im Wald. Von ihm habe ich gelernt, einfach meine Schuhe auszuziehen, um den Waldweg zu finden, den ich im Dunkeln nicht sehen kann. Ich soll meinen fünf Sinnen vertrauen, meinen Erfahrungen, meinen Kompetenzen, habe ich von ihm gelernt.
Niemand fürchtet sich davor, in der Dusche zu stürzen, im Urlaub zu ertrinken oder auf der Landstraße umzukommen. Wenn mir bewusst wird, dass ich in Trinkwasser bade oder mir beim Kochen klarmache, wie viel effizienter es volkswirtschaftlich ist, sich in Kantinen füttern zu lassen, dann fürchte ich, dass mir der Luxus nicht zusteht und mir in Zukunft genommen wird. Ich habe Angst, einen Job machen zu müssen, bei dem ich nicht die Möglichkeit habe, jederzeit meine Gedanken in Sicherheit zu bringen.
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