In Berlin haben sich Menschen auf die Spuren einer jüdischen Familie begeben. Was dabei zunehmend an Bedeutung gewinnt: die Rolle digitaler Archive.
Von den Nazis entrechtet, deportiert, in Auschwitz ermordet: Das Schicksal der Familie Driesen Foto: Julia BaierSabine Seifert 23.2.2023, 14:10 Uhr
Gundula Oertel über den ersten Besuch der Familie Driesen in Berlin„Ab da war der Holocaust für mich nicht mehr abstrakt“ Es sollten trotzdem noch etwa zehn Jahre vergehen, bis die freie Autorin und Journalistin die Geschichte der ehemaligen Hausbewohner:innen zu recherchieren begann und die Verlegung der Stolpersteine initiierte. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten und neue Zugänge, der Geschichte der eigenen Stadt, der eigenen Straße, des eigenen Hauses nachzuspüren.
Die Idee zur Gründung von Tracing the Past hatte Roderick Miller. Der Verein ist bewusst klein gehalten: neun Leute, Historiker:innen, Bibliothekare und Informatiker. Miller, ein US-Amerikaner, ist „der einzige Amateur“ in dieser Gruppe, wie er spöttelnd bei einem Videotelefonat mit der taz sagt. Der Journalist und Musiker zog 2004 von New York nach Berlin, wo er 2016 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragte.
Neben ihm sitzt Doris Kretschmer, die Großkusine seiner Mutter. Geboren 1951, ist sie die Enkelin des einzigen Überlebenden der Lewin-Geschwister. Ihr Großvater Georg Lewin war Uhrmacher im brandenburgischen Putlitz, verheiratet mit einer Nichtjüdin, was ihn anfangs vermutlich schützte. 1940 ging er nach Berlin.
Doris Kretschmer hat in einer Ausstellung in München über die Rolle der Reichsbahn den Tag und Ort der Deportation der Schwestern ihres Großvaters ausfindig gemacht. „Es war Zufall“, erzählt sie, „dass ich in München umsteigen musste. Und ich hatte in der Zeitung von der Ausstellung ‚Züge in den Tod‘ gelesen, die am Bahnhof zu sehen sein sollte, die aber ohne Hinweise schwer zu finden war. Dort lagen die Bücher zu den Transporten aus.
Die ehemalige Kunst- und Ethiklehrerin hat zu Hause im brandenburgischen Wittstock/Dosse, eine halbe Stunde Fahrt von Putlitz entfernt, in ihrem Atelier ein Bild gemalt: eine schmale, mehrere Meter lange Leinwand, die den Deportationszug Richtung Auschwitz zeigt und die drei Frauen, die, bewacht von SS-Leuten, in den Zug steigen müssen – auch wenn sie damals nicht alle am selben Tag deportiert worden sind.
Entschädigungszahlungen gab es in der DDR nicht, Widerstandskämpfer oder ehemalige Lagerinsassen bekamen Ehrenpensionen – im antifaschistischen Selbstverständnis der DDR stand die moralische Anerkennung vor allem den politisch Verfolgten zu. „Meine Mutter nahm nicht an der Kranzlegung teil“, sagt Kretschmer. „Sobald die SED-Funktionäre weg waren, ging sie hin, nahm den Kranz und warf ihn in hohem Bogen auf den Abfallhaufen. Das war ihre Form des heimlichen Protests.
Das Projekt Mapping the Lives, zu Deutsch etwa: Lebensgeschichten kartieren, will interaktive Stadtpläne entstehen lassen, die wie ein virtuelles Fenster in die Vergangenheit wirken. Verzeichnet werden sollen dort Adressen und biografische Daten von Opfern des Nazi-Regimes. Ziel sei es, „jede beliebige Straße in Europa entlanglaufen zu können und dabei ein Wissen über die Holocaust-spezifische Geschichte dieses Ortes zu erwerben“, heißt es auf der Webseite.
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