Mit drei Kindern und ohne PKW ist unsere Autorin in den Wald gezogen. Geht das – ein Leben auf dem Land ohne Auto?
Luise Strothmann 18.4.2022, 09:14 Uhr
Dass wir in der Berliner Innenstadt mit drei kleinen Kindern ohne Auto lebten, fiel in unserem Umfeld nicht weiter auf. Aber wenn ich vom geplanten Umzug erzählte, fragten mich plötzlich dieselben Menschen: Dann kauft ihr aber schon ein Auto, oder? Dann macht dein Freund bestimmt auch endlich einen Führerschein?
Der Satz funktioniert quasi als Universalargument gegen Veränderung. Und es stimmt ja, wenn man auf die Zahlen schaut: Von den ländlichen Haushalten, in denen mehr als ein Mensch lebt, haben nur 3 Prozent gar kein Auto. Mehr als die Hälfte besitzen zwei oder mehr. 44 Kilometer ist jede Person hier am Tag durchschnittlich unterwegs, davon mindestens 35 am Steuer oder auf dem Beifahrersitz.
Natürlich erinnere ich mich an mein erstes Auto. Ich hatte es mir für 500 Euro gekauft, weil es für den Job bei der Regionalzeitung Pflicht war, einen Führerschein und einen Wagen zu haben. Ein kleiner, eckiger Peugeot 205. Meine Familie nannte ihn „die rote Gefahr“.Fast noch deutlicher erinnere ich mich an das Gefühl, das erste Mal allein hinter dem Lenkrad eines Treckers zu sitzen.
Es wird Juni, und eine Kollegin fragt mich, ob ich nicht etwas schreiben will über das Leben auf dem Land ohne Auto. Aber was gibt es da schon groß zu schreiben? Alles ist sommerleicht. Der Wocheneinkauf in den vier Ikea-Tüten passt genauso problemlos ins Fahrrad wie die Schwimmnudeln und Wasserbälle, die wir einpacken, um am frühen Abend noch kurz in den See zu springen. Geparkt wird direkt am Strand.
Wir wollen zum Mosten nach Mecklenburg und auf dem Rückweg mindestens 50 Liter Apfelsaft mitnehmen. Zug fällt also aus. Unser Landkreis bietet ein Carsharing mit kleinen weißen Elektroautos an, ein kluges Konzept: Unter der Woche nutzen die Mitarbeiter der Kommunalverwaltung die Wagen, abends, am Wochenende und wenn sie zwischendurch nicht gebraucht werden, kann jeder sie per App mieten.
Anfang 2022 sitzt mein Freund mit einem Bekannten am Feuer im Garten. Der Bekannte wohnt auf einem Hofprojekt in der Nähe und hat ein Elektromountainbike. Seine Mitbewohnerin hat sich gerade ein Auto gekauft, und er meint, sie würde sich selbst in die Tasche lügen und immer öfter das Auto nehmen. „Das mit dem Auto ist eine richtige Sucht“, sagt er. Sie reden sich in Rage.
Folgt man Katja Diehl, dann hat das Auto uns dazu gebracht, die Welt aus seiner Perspektive zu sehen und die Welt nach seinen Bedürfnissen zu formen. Deswegen finden wir es nicht irritierend, wertvollen öffentlichen Platz in der Stadt als Lagerort privater Gegenstände zu nutzen. Sondern akzeptieren, dass jeder Parkplatz Raum in der Größe eines Kinderzimmers einnimmt. Auch das Landleben hat das Auto verändert.
Katja Diehl schaut mich an. Irgendwie, so klingt das, braucht es die Anti-Auto-Sekten, die Masochisten auf Klapprädern also doch, bis sich im Großen etwas ändert.Will ich? Eigentlich nicht. Mit dem Rad anzuhalten, um einen Steinpilz am Wegesrand abzuschneiden, das ist das gute Leben. Mit drei Kindern auf dem Rücksitz auf der verregneten Autobahn einen Lkw zu überholen ist dagegen einer meiner größten Stressmomente.
Mut macht mir, dass wir nicht die Einzigen sind. Da ist dieser Mann mit der grünen Regenjacke und dem Drahtkorb auf dem Gepäckträger. Manchmal hält er mit seinem Fahrrad neben meinem Lastenrad an, wenn ich auf den Schulbus warte. Er sagt mir, in der nächsten Stadt habe ein Fahrradladen eröffnet, der auch Lastenräder repariert. Gelobt sei die Gentrifizierung!, denke ich.
Aber ich glaube, dass sich etwas verändern muss. Ein grausamer Angriffskrieg beweist, wie stark unser fossiler Lebensstil uns abhängig macht von Verbrechern. Derselbe fossile Lebensstil, der zu einer Klimakrise führt, die nicht irgendwo in der Zukunft liegt, sondern heute schon Menschen tötet. Nach der Kernschmelze von Fukushima hat die Bundesregierung innerhalb von Wochen den Atomausstieg verkündet.
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