NS-Verbrechen in der Ukraine: Auf der Spur der Täter

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Viele Deutsche wollen wissen, welche Verbrechen Familienangehörige während des NS in der Ukraine begangen haben. Historiker Johannes Spohr hilft dabei.

Ein Artikel vonFür seine Kunden fertigt Johannes Spohr oft historische Karten an, aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er trägt Städte und kleinere Orte ein, dazu einzelne Kriegsereignisse und Routen, die Wehrmachtseinheiten oder Einsatzgruppen genommen haben. In den ersten Wochen nach Russlands Überfall auf die Ukraine sei ihm das aber schwer gefallen, erzählt er in einem Eckcafé in Berlin-Neukölln.

Spuren vieler Deutschen führen in die Ukraine Die Spuren vieler deutscher Familien aus der Zeit des Nationalsozialismus führen in die Ukraine. 17,3 Millionen Männer dienten im Laufe des Zweiten Weltkriegs in der Wehrmacht, zusammen mit der Waffen-SS waren es 18,2 Millionen Soldaten. Ein großer Teil von ihnen wurde an der Ostfront eingesetzt. Wie viele genau, ist nicht zu sagen, da es viele Truppenverschiebungen gab.

Die einen wollen verhindern, dass durch deutsche Waffen wieder russische Soldaten sterben. Die anderen entgegnen, dass gerade ein Land, das so unter deutschem Terror gelitten hat wie die Ukraine und nun erneut angegriffen wird, mit allem unterstützt werden muss, was es zu seiner Verteidigung braucht.

Spohrs Großvater war nach dem Krieg in der norddeutschen Kleinstadt Nordenham eine wichtige Persönlichkeit, 25 Jahre lang Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft der Stadt, „Chef des Bildungsbürgertums“. Nach seinem Tod im Jahr 2006 findet sein Enkel in Schreibtischschubladen Schwarzweißfotos aus der Kriegszeit, dazu stapelweise Dokumente, eine Wehrmachtsuniform hängt im Schrank.

Seine Verbände, etwa das in Italien aktive 76. Panzerkorps, werden teils mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht. „Mein Großvater war Teil einer verbrecherischen Organisation in einem Vernichtungskrieg“, fasst Johannes Spohr seine Ergebnisse zusammen. „Aus den Dokumenten geht teilweise eine rassistische, antikommunistische und slawenfeindliche, teils auch koloniale Gesinnung hervor.“ Seinen Großvater könne man als Opportunisten und Karrieristen charakterisieren.

Zusätzlich hält er Vorträge zur Geschichte der Ukraine, schreibt Fachaufsätze und gibt Workshops, in denen er erklärt, wie jeder selbst die Vergangenheit seiner Großeltern oder Urgroßeltern recherchieren kann – etwa, wie man an das Archivmaterial kommt. Gestiegenes Interesse seit Kriegsbeginn Seit Russlands Angriff bemerkt er ein gestiegenes Interesse an der Geschichte der Ukraine. Buchverlage legen Standardwerke neu auf, die plötzlich ganz andere Verkaufszahlen erreichen, Podcast-Serien mit Osteuropa-Historikern werden gestartet. Auch Spohr wird jetzt öfter um Vorträge zum Thema seiner Dissertation gebeten. Die Nachfrage nach den Recherche-Workshops ist ebenfalls gestiegen.

Ein befreundeter Historiker im Gespräch mit Barbara Brix„Barbara, wusstest du eigentlich, dass dein Vater bei den Einsatzgruppen war?“ Neben ihr sitzt Paula, 18 Jahre, Strickpulli, Jeans-Latzhose. Sie macht gerade ein Jahr Bundesfreiwilligendienst. Ihr Großvater sei zu DDR-Zeiten sehr engagiert in der SED gewesen, erzählt sie. „Er war richtig begeistert dabei. Und ich habe mich immer gefragt, wie das geht: Von einem System einfach so ins nächste zu springen.“ Neben den NS-Unterlagen wolle sie deshalb auch die Stasi-Akten ihres Großvaters einsehen, sagt Paula.

„Mein Vater und ich hatten einen schwierigen Start, aber mit der Zeit sind wir ein Herz und eine Seele geworden.“ Der Vater erzählte den Kindern oft Geschichten, die Weltliteratur in Kurzfassung, im Schein der Wohnzimmerlampe las er ihnen Romane von Charles Dickens vor, machte mit ihnen Ausflüge in einem für seine Behinderung umgerüsteten Auto. Als sie älter wurden, diskutierte er ihre Schulaufsätze mit ihnen.

Sie stürzt sich in die Recherche, fragt die verschiedensten Archive an und findet nach und nach heraus: Ihr Vater gehörte als Arzt dem Stab der Einsatzgruppe C an. Anderthalb Jahre war er in der Ukraine eingesetzt, arbeitete in Kiew im Hygiene-Institut der Waffen-SS und war, nach allem, was Brix weiß, auch bei dem Massaker von Babyn Jar dabei. „Es gibt den begründeten Verdacht, wenn auch keinen konkreten Beweis“, sagt sie.

Dann wagt sie sich mehr und mehr in die Öffentlichkeit. Für einen Sammelband schreibt sie einen Aufsatz über ihre Recherche und nimmt an einer Konferenz teil, auf der Fachhistoriker mit Täter-Nachfahren diskutieren, die ihre Familiengeschichten aufarbeiten. „Da habe ich gemerkt: Es hat auch etwas Politisches, wenn ich öffentlich darüber spreche.

2017 besucht sie Odessa, 2018 ist sie mit derselben Reisegruppe noch einmal in der Westukraine bei Lwiw unterwegs, aber es ist vor allem die erste Reise, die sie tief beeindruckt. Brix sieht dieses Dilemma. Aber ihren Pazifismus, der für sie eine Lehre aus den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ist, kann oder will sie nicht hinter sich lassen. „Das ist eine berechtigte Frage. Ich habe weder das Recht noch die Kompetenz, der Ukraine zu sagen, wie sie sich verhalten soll. Schon gar nicht, ihr wie manche andere zu raten, dass sie um des Waffenstillstands willen eben territoriale Verluste in Kauf nehmen müsse. Das maße ich mir nicht an.

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