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Es gibt vernünftige Gründe, so unvernünftig zu sein und sich zu verlieben. Dopamin heißt einer, Noradrenalin ein anderer. Der Körper schüttet die Botenstoffe aus, die Stimmung steigt, die Zeitwahrnehmung verzerrt sich. Auch Oxytocin kommt ins Spiel, Kortisol, Beta-Endorphin. Der Serotoninspiegel sinkt, Verliebte legen plötzlich größten Wert auf kleinste Details, feilen noch am letzten Komma einer Textnachricht.
Newerla schaut als Soziologin aus einer Metaperspektive auch auf ihr eigenes Liebesleben – und merkt immer wieder, wie sehr das romantische Ideal sie gefangen hält. »Ich bin aufgewachsen mit ›Dirty Dancing‹, ich kann all die Vorstellungen nicht einfach ablegen wie ein altes Kleidungsstück.«Seit etwa einem Jahr ist Newerla »romantisch verpartnert«, wie sie das nennt. »Es ist ein schönes Gefühl, mich hat das selbst überrascht.
Und wenn die Beziehung irgendwann scheitert, dann oft komplett, also sexuell und freundschaftlich und finanziell. Alles wird auseinandergerissen, als ginge nur ganz oder gar nicht, aus dem Lieblingsmenschen wird der Feind. Unvernünftig ist auch das oft, aber es ist so. Und klar, dann muss schnell die nächste Paarbeziehung her. »Teufelskreis serieller Romantik«, so nennt Newerla das.
Der Idee ist natürlich ein Paradox eingeschrieben und mit dem Paradox das Risiko des Scheiterns: Der andere verkörpert das Versprechen auf Selbstverwirklichung. Gleichzeitig setzt er der Selbstverwirklichung auch Grenzen. Davon zu unterscheiden ist eine Situationship: eine unverbindliche Verbindung mit Casual Sex, also Gelegenheitssex, angesiedelt irgendwo in der Grauzone zwischen Affäre und Beziehung.
In den Profilen polyamorer und anderer offen liebender Menschen auf Dating-Apps finden sich auch die Bezeichnungen »ethical non-monogamy«, abgekürzt enm, oder »konsensuelle Nichtmonogamie«, um sich von polygamen Zwangsehen abzugrenzen, vor allem aber von heimlichen Formen der Nichtmonogamie, also Seitensprüngen.
Aber was unterscheidet eine gute Freundschaft von einer romantischen Liebesbeziehung? Der Sex, würden wohl die meisten spontan antworten.»Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass sich Freundschaft und Partnerschaft immer klar trennen lassen«, sagt Ole Liebl, 31, ein queerer Influencer aus Berlin., er sagt von sich selbst, er sei »durchaus linksradikal«. Zum Treffen in einer Bar um die Ecke hat er Kekse mitgebracht und Florentiner.
sondern One-Night-Stands? In seinem Umfeld sei das so. Sex mit irgendeiner fremden Person sei nicht mehr so en vogue, gerade bei Frauen nicht. Sex brauche einen vertrauten und damit vertrauenswürdigen Rahmen. Die Freundschaft plus als Safe Space für Safer Sex. Liebls TikTok-Videos sind komplett gescripted, selbst jedes »na ja« und jedes »sozusagen« schreibt er sich auf, simulierte Authentizität. Sein Liebesleben aber ist improvisiert.
Berling lebt im Frankfurter Stadtteil Bornheim, sie hat lange in einem Mädchenzentrum gearbeitet, berät nun wohnungslose junge Menschen. Ihr Freundeskreis, so erzählt sie es, sei links. Viele empfänden monogame Beziehungen als zu eng, würden gern freier lieben. Eigentlich bedeute eine Polybeziehung mehr Verantwortung, mehr Kommunikation, mehr Emotionalität auch, sagt Berling. »Aber zu viele Männer nutzen das Label aus. Sie folgen ihren traditionellen Rollenmustern noch ungestörter.«Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler.50.000 Menschen.
»Ich will anders lieben«, sagt Berling. Ein Weg: die Beziehungen zu Freunden aufwerten. Ein anderer: die Emotionen hoch-, aber die Erwartungen runterschrauben, so unromantisch das auch klingen mag. Wenn Neurowissenschaftler in die Köpfe unglücklich verliebter Menschen schauen, entdecken sie Hirnaktivitäten, die denen von Zwangsgestörten ähneln. Sie sind obsessiv. Ob schlimme Trennung oder Todesfall: Für das trauernde Gehirn besteht da kaum ein Unterschied.
Im Netflix-Film sagt eine der Figuren den schönen Satz: »Liebe ist wie Fallschirmspringen«, ein Rausch, ein Kick, ein Abenteuer. Aber ohne Fallschirm reiner Selbstmord. In einer lebenslang angelegten Partnerschaft gehen etwa 50 Prozent der Partner irgendwann eine Außenbeziehung ein. Wäre es da nicht aufrichtiger, die Partnerschaften gleich offen zu gestalten?Svenja Sörensen, 38, arbeitet als Beziehungscoach, ihr Fokus: offen lieben. So heißt auch das Buch, in dem sie ihre eigenen Erfahrungen aufgeschrieben hat.
Menschen würden offene Beziehungen für oberflächlich halten, sagt Sörensen, das Gegenteil sei der Fall, weil in offenen Beziehungen viel mehr kommuniziert werden müsse. »Eine Das trifft sie, weil sie sich sorgt, dass ihr Sohn irgendwann mit Hänseleien konfrontiert sein könnte. »Ich kann ihn davor nicht bewahren, ich kann nur dafür sorgen, dass er resilient und stark genug ist.« Der Vierjährige bekomme bereits mit, dass es nicht nur eine Form gibt, zu leben und zu lieben. »Für ihn ist das alles das Normalste auf der Welt.«
In den USA und Kanada lebten schon vier bis fünf Prozent der Bevölkerung in einem der neuen Beziehungsmodelle, berichtet Bröning. Für Deutschland gebe es ähnlich zuverlässige Studien nicht, eineaber ergab, dass sich immerhin fast jeder vierte deutsche Mann eine offene Beziehung vorstellen kann, dazu jede zehnte deutsche Frau.
In Brönings Beratung kommen zunehmend Paare, die ihre Beziehung öffnen wollen – und sich dabei Unterstützung wünschen. »Das ist kein Spaziergang«, sagt sie, »eher ein Sprung vom Zehn-Meter-Turm.« Denn die romantische Liebe ist eben dies: eine soziale Erfindung, nur wenige Hundert Jahre alt, ein Phänomen der Moderne, untrennbar verwoben mit der Industrialisierung.
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