Andrij Melnyk hat mit seinen Bandera-Aussagen für Entrüstung gesorgt. Hat er damit für alle Ukrainer gesprochen? Welche Geschichtspolitik betreibt das Land? Eine Spurensuche.
Staaten mit kleineren Wohlfahrtsbürokratien feiern weiterhin ihre Helden, besonders, wenn sie noch dazu autokratisch regiert werden und ärmer sind.Deutschland mit seiner überbordenden, dezentralisierten Bürokratie und seiner anti-militaristischen Außenpolitik ist Weltmeister darin, Opfer zu entschädigen – die eigenen und die fremden.
Das war ein Mythos, der aus Moskau verordnet worden war, der für die pluralistische, zerstrittene Gesellschaft, die sich nach 1991 zwischen Kharkiv und Lviv, zwischen Kiew und Odessa zu Wort meldete, wenig bekömmlich war, wie Boris Bogatov wohl sagen würde. Wäre die Ukraine also Deutschland, hätte sie nationalistischen und kommunistischen Partisanen, Sowjetsoldaten und NS-Kollaborateuren einfach Opferrenten ausbezahlt und alle wären zufrieden gewesen.
Die ukrainischen Nationalisten, demokratisch und antisowjetisch wie sie waren, hätten in dieser Zeit gerne auch Vergangenheitsbewältigung nach deutschem Vorbild betrieben, Berufsverbote für KGB-Agenten ausgesprochen, die Geheimdienstakten geöffnet und KGB-Offiziere vor Gericht gebracht. Nur dass diejenigen, mit denen sie da abrechnen wollten, in Kiew an den Hebeln der Macht saßen.
Wer einfache, schwarz-weiße Klischees mag, der wird von der neuzeitlichen ukrainischen Geschichte nicht wirklich zufriedenstellend bedient. Aber so ist das, wenn man, wie die Ukraine 1991, einfach jedem das Wahlrecht gibt, der sich auf dem Gebiet des neuen Staates befindet. Dann hat man den geschichtspolitischen Salat.
Über Serben, die von Kroaten und Albanern umgebracht wurden, zu berichten, war, frei nach Bogatov, der deutschen Medienöffentlichkeit damals nicht bekömmlich. Aus Gründen, die im Nachhinein nur schwer zu eruieren sind, haben Opfer in Deutschland grundsätzlich die moralische Verpflichtung, unschuldig zu sein, auch wenn sie das in der konkreten historischen Realität, in der sie zurechtkommen müssen, oft überfordert.