Im Interview mit der taz erzählt die Berliner Künstlerin Georgette Dee über Freiheit, die Kunst des Selbstausdrucks und die Herausforderungen als Frau in einer Männerwelt.
Im Westen von Berlin steht zwischen Rieselfeldern und Heerstraße ein kleines Häuschen mit blauem Dach. Hier in Pichelsdorf, einer Ortslage im Bezirk Spandau, wohnt Georgette Dee, die Neckermann-Pauschalreisende des Berliner Kabaretts. Sie ist groß, mit Augen, die sehen aus wie gotische Torbögen. Die wilden Locken sind inzwischen glatt und weiß. An der Wand hängt ein Poster von einem Boxer, der von den Nazis erschlagen wurde, weil er Sinti war. Er ist in Kampfstellung, Oberkörper frei.
In der Ecke klemmt James Dean: „only the gentle are really strong“. Es gibt Kaffee aus einer großen Kanne und ihr berühmtes Gemüse-Fleischklößchen-Süppchen. Später dann volle Gläser Wein. Von Anfang an duzen wir uns. taz: Was bedeutet für dich Freiheit? Georgette Dee Dass man sein kann, wie man ist. Und ich habe wahnsinnig lange damit gekämpft, auch was meine Kunst betrifft. Dass die Leute das nicht immer wieder auf Transenshow und das ganze Trans-Programm reduziert haben. Also der deutsche Kulturbetrieb lebt ja von Schubladen. Das ist manchmal gruselig. taz: War deine Entscheidung, im Kleid auf die Bühne zu gehen, auch der Versuch, aus einer Schublade auszubrechen? Georgette Dee – Chansonette, Bühnendiva, Kunstfigur und Philosophin (Eigenbeschreibung auf ihrer Homepage) – kam 1958 in der Lüneburger Heide zur Welt, 11 Jahre bevor Homosexualität entkriminalisiert und 36 Jahre bevor der Paragraf 175 gestrichen wurde. Die Diseuse verbrachte Zeit in Hamburg und London und feierte schließlich in den 1990ern in Berlin ihre größten Erfolge. Dee trat im Fernsehen und im Theater, in Wien, Paris und Stockholm auf. Meistens steht sie im schwarzen Kleid auf der Bühne, ein Glas in der einen Hand, das Mikrofon in der anderen. Seit einigen Jahren unterrichtet sie in München an der Otto Falckenberg Schule. Sucht man heute nach ihr, findet man sie am einfachsten in den Berliner Veranstaltungsorten Tipi am Kanzleramt oder Bar jeder Vernunft. Georgette Dee: Nein, das hatte eher was mit Selbstverwirklichung zu tun. Also auch mit diesem ganz intensiven Wunsch, auf der Bühne zu stehen und einfach den Leuten was vom Pferd zu erzählen. Das war immer mein Traum. Ich habe mit sieben vor dem Radio gesessen, da lief Édith Piaf mit „Milord“. Und ich weiß noch, ich bin fast ins Radio rein gekrochen, morgens um acht oder so, und dachte nur: Das will ich auch! Ich habe gar nicht gedacht, wer ist das? Sondern irgendwie war das: Das will ich auch! Das weiß ich noch ganz genau. taz: Aber das hättest du ja auch in Hose machen können. Georgette Dee: Nein, eben nicht! Weil es dann nicht funktioniert. Ich greife die Leute ja an! Dann machen sie zu und dann wäre die Karriere in einem Jahr beendet. Ich bin für die Menschen nicht gefährlich, wenn ich im Kleid die Männerwelt angreife, weil irgendwo wissen sie ja, dass ich auch irgendwie ein Mann bin. Aber ich kann da Dinger landen, die könnte ich in der Hose nicht landen. taz: Wolltest du auch mal eine Frau sein? Georgette Dee: Einmal, da war ich noch Krankenschwester in Hamburg, da fragte mich der Mediziner, er war noch jung und mochte mich sehr: Sagen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber würden Sie lieber eine Frau sein? Und das war Ende der 1970er Jahre, richtig schwieriges Thema also. Der bot mir also an, wenn ich irgendwelche Sehnsüchte hätte, mir zu helfen, da einen Weg zu finden. Und ich war völlig von den Socken und habe gesagt: Nee, weiß ich nicht, muss ich drüber nachdenken. Aber dadurch, dass von außen diese Frage an mich rankam, habe ich plötzlich tatsächlich darüber nachgedacht. Will ich das eigentlich oder will ich das nicht? Und dann habe ich festgestellt: Nein, all die geilen Jungs, die ich jetzt jeden Abend haben kann, kriege ich ja niemals als Mädchen. Ganz pragmatisch. Das war so ein wichtiger Moment in meinem Leben. Da habe ich gedacht: Nein. Das muss alles nicht sein. Es stimmt alles, wie es ist. Aber natürlich, auf der Bühne wollte ich schon als Frau wahrgenommen werden. Es war dieses Spiel dazwischen. So musste es irgendwie für mich sein. taz: Und das schillernd zu halten. Ist das für dich auch Freiheit? Georgette Dee: Eine Freundin von mir sagte mal über meine Shows: Ich sitze da und nach zehn Minuten sind Mann und Frau verschwunden. Und mehr kann ich von der Kunst nicht wollen als Performer. Also da steht ein Mensch und reißt sich den Arsch auf. Und jammert über die Welt oder macht sich lustig oder schreit laut, ich will ficken oder all so ein Zeug. Also alles, was unser Menschsein ausmacht, was auch geschlechterübergreifend ist, weißt du? Im Garten von Georgette Dee in Berlin-Spandau Foto: Sophie Kirchner taz: Nein, was denn? Georgette Dee: Na, ich erzähl ja ganz viel von mir, von meinem Loosertum und was wieder alles schiefgegangen ist oder wie das alles nicht klappt. Und darin erkennen sich die Leute, weil das alle kenne
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