Eine neue Studie der Universität Mannheim zeigt, dass der massive Ausbau des deutschen Stromnetzes nur dann ohne soziale Verwerfungen und übermäßige Belastung der Kunden bezahlbar ist, wenn der Staat bei der Finanzierung die Federführung übernimmt. Auslagerung an private Geldgeber würde die Netzbenutzungsgebühren in die Höhe treiben.
Der für die Energiewende notwendige massive Ausbau des deutschen Stromnetzes ist nach einer neuen Studie nur dann ohne soziale Verwerfungen und übermäßige Belastung der Kunden bezahlbar, wenn der Staat bei der Finanzierung die Federführung übernimmt.
Eine Auslagerung an private Geldgeber, wie sie etwa der frühere Regierungsberater Lars Feld oder die Beratungsgesellschaft Deloitte fordert, würde die Netzbenutzungsgebühren dagegen ohne Not in die Höhe treiben, heißt es in der Untersuchung der Mannheimer Ökonomen Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt. Nach einer früheren Schätzung könnte der Netzausbau bis zum Jahr 2045 Kosten in Höhe von gut 650 Milliarden Euro verursachen. Bund und Länder wollen das Stromnetz in Deutschland in den kommenden Jahren um etwa 14 000 Trassenkilometer erweitern, um etwa Windstrom aus dem Norden in den Süden und Westen der Republik transportieren zu können. Zudem wird der Stromhandel innerhalb Europas immer wichtiger, auch hierfür sind zusätzliche Leitungen nötig. Wären die Betreiber der großen Übertragungs- und der kleinen Verteilnetze gezwungen, die notwendigen Mittel selbst aus ihren laufenden Einnahmen aufzubringen, müssten die sogenannten Netzentgelte für private Haushalte sowie Industrie- und Gewerbekunden der Studie zufolge sofort um durchschnittlich 7,5 Cent je Kilowattstunde erhöht werden. Im Vergleich zum heutigen Schnitt von 7,7 Cent wäre dies eine Verdopplung. Laut Bundesnetzagentur zahlten Industriekunden im vergangenen Jahr im Schnitt 4,1, Gewerbekunden 9,4 und die privaten Haushalte 11,6 Cent an Leitungsgebühren. Kämen nun noch einmal die gleichen Summen hinzu, stiegen die gesamten Bruttostrompreise etwa für Privatkunden bei ansonsten unveränderten Bedingungen von zuletzt gut 40 auf mehr als 50 Cent je Kilowattstunde. Dies wäre „für Unternehmen und Haushalte kaum tragbar“, warnen Krebs und Kaczmarczyk in ihrer Untersuchung, die von der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) gefördert wurde. „Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen wären voraussichtlich verheerend.“ Stattdessen schlagen die Ökonomen der Universität Mannheim vor, dass sich der Staat am Kapitalmarkt Geld leiht, die vier großen Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet BW mehrheitlich übernimmt und die Firmen außer mit Fremd- in großem Umfang mit zusätzlichem Eigenkapital ausstattet. Das hätte aus Sicht der Experten gleich zwei Vorteile: Zum einen muss der Bund nur rund 2,5 Prozent Zinsen auf die Darlehen zahlen und damit deutlich weniger als jeder private Kreditnehmer. Zum anderen ist der Staat nicht gewinnorientiert, eine Eigenkapitalrendite von drei Prozent würde deshalb ausreichen. Dieser finanzielle Vorteil könnte an die Stromkunden durchgereicht werden, die Netzentgelte müssten dann statt um 7,5 nur um 1,7 Cent steigen. „Trotz der hohen Investitionssummen wäre die Energiewende damit finanzier- und realisierbar, ohne für soziale oder wirtschaftliche Verwerfungen zu sorgen“, so das Fazit der Autoren. Auch die Schuldenbremse wäre kein Problem: Weil den Krediten mit den Firmenbeteiligungen ein Wert gegenüberstünde, würden sie nicht auf die Darlehensobergrenze des Grundgesetzes angerechnet. Bisher ist Amprion vollständig in Privatbesitz, Tennet und 50Hertz gehören ganz oder teilweise niederländischen beziehungsweise belgischen Staatsunternehmen. An Transnet BW halten das Land Baden-Württemberg, ein Banken- und Versicherungskonsortium sowie die staatliche Förderbank KfW direkt oder indirekt Anteile. In einem dritten Szenario untersuchen Krebs und Kaczmarczyk, welche Auswirkungen es hätte, wenn private Investoren aus dem In- und Ausland das nötige Eigen- und Fremdkapital zur Verfügung stellten. Ergebnis: Weil die Geldgeber in diesem Fall mit Verweis auf das Ausfallrisiko happige Aufschläge auf die eigenen Kreditkosten verlangen würden, stiegen die Netzentgelte für die Stromkunden im Schnitt um drei Cent – also fast doppelt so stark wie im Staatsszenario. In diesem Fall, so die Ökonomen, „bezahlen Wirtschaft und Gesellschaft jedes Jahr bis zu 14 Milliarden Euro zusätzlich für die Nutzung der Stromnetze, damit internationale Finanzinvestoren wie Blackrock hohe Renditen einfahren können“.
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