Ein Rechercheteam enthüllt die dunklen Geheimnisse der globalen Schattenflotte, die unter anderem russisches Öl transportiert. Ukrainische Seemanns werden unter unwürdigen Bedingungen auf alten und wenig sicheren Schiffen eingesetzt.
Die Zustände an Bord der Orion seien die Hölle gewesen, erinnert sich Dmytro. Dort gab es nur abgelaufene Medikamente und die Crew musste sich selbst versorgen. Das Schiff, auf dem der Mechaniker arbeitete, war „in einem miserablen Zustand“, und Reparaturen, die eigentlich von den Hafenbehörden gemacht werden sollten, wurden der Besatzung überlassen.
Der Ukrainer, Mitte zwanzig, war als Seemann auf einem Schiff unterwegs, das einer globalen Schattenflotte zugerechnet wird, einer Armada aus oft altersschwachen Tankern und Frachtern, die unter der Flagge von Steueroasen Güter über die Weltmeere schippern, die gar nicht gehandelt werden dürften. Öl aus Iran zum Beispiel. Diese Tanker entziehen sich westlichen Kontrollen und Standards, sind oft gar nicht oder unzureichend versichert, und ihre Crews arbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Wie Dmytro einst auf der Orion, einem 28 Jahre alten Kahn, der damals venezolanisches Öl trotz bestehender Sanktionen transportierte. Inzwischen konzentrieren sich die Betreiber auf den Transport von russischem Rohöl. Er habe den Job auf der Orion zunächst gar nicht annehmen wollen, erzählt er in Chats den Reportern von SZ, NDR, WDR und der britischen Investigativredaktion Source Material, aber er habe das Geld gebraucht. Sein Großvater war schon Seemann, an dessen Vorbild orientierte sich der Enkel. Zusammen mit dem niederländischen Medium Follow the Money und weiteren internationalen Partnern hat das Rechercheteam nachverfolgt, wie die Schattenflotte entstanden ist, wer daran verdient und welche Risiken sie für die Schifffahrt und für Küsten darstellt, an denen die bisweilen kaum mehr seetauglichen Kähne voll beladen und unterversichert vorbeifahren. Die Ergebnisse werden unter dem Titel „Shadow Fleet Secrets“ in mehreren Ländern veröffentlicht. Und das Team hat Dmytro gefunden, der von seinen Erfahrungen mit dem Schrott zur See erzählt. „Ich dachte damals, ich arbeite für eine ukrainische Crewing-Agentur“, schreibt Dmytro auf Telegram der Süddeutschen Zeitung. „Während meiner Zeit an Bord haben wir nie eigene Operationen gestartet. Wir waren eine Art ‚Treibstoff-Fass‘ auf See, andere Schiffe kamen, um Öl zu laden oder zu entladen.“ Was Dmytro hier beschreibt, sind offenkundig sogenannte Ship-to-ship-Transfers, um die Herkunft der Ware zu verschleiern und Sanktionen zu umgehen. Dmytro wusste, dass die Strukturen der Firma, die ihn angeheuert hatte, weit über die Ukraine hinausreichen: „Das Büro war in der Ukraine, aber es gab auch Niederlassungen in Russland und Georgien.“ Er selbst wurde von der Agentur Novomar in die Schattenflotte vermittelt, die nicht einmal eine eigene Website hat, sondern ihre Stellenanzeigen hauptsächlich über Social Media verbreitet oder in Bewertungsportalen für Seefahrer auftaucht. Ansonsten: eine Art Geisterfirma. Tatsächlich ist Novomar mit russlandnahen oder russischen Unternehmen verbunden, etwa der Zolos Shipping, die laut dem russischen Oppositionsmedium Wjorstka als Inbegriff der Schattenflotte gilt. Viele Seeleute haben von ihr gehört, doch kaum jemand weiß, wer dahintersteckt, wo sie sitzt oder was genau sie macht. Recherchen zeigen, dass Zolos ein zentrales Element eines Netzwerks ist, das sich um den Geschäftsmann Viktor Baransky aus Odessa formiert hat. Baransky verlor wegen seiner Russlandnähe und dem Schmuggel venezolanischen Öls 2023 die ukrainische Staatsbürgerschaft. Es ist eine der grotesk anmutenden Seiten dieses Krieges Auf Anfragen zu den Anschuldigungen haben die Unternehmen Novomar und Zolos nicht reagiert. Wie weitere 17 Firmen stammt die Arbeitsvermittlungsagentur Novomar aus der Ukraine. Das ist brisant und eine der grotesk anmutenden Seiten dieses Krieges: Ukrainische Firmen vermitteln ukrainische Landsleute auf Tanker unbekannter Besitzer, die mutmaßlich auch russisches Öl transportieren, mit dessen Erlös Russland den Krieg gegen die Ukraine finanziert – und sie riskieren dabei offenbar sogar ihr Leben. Die Recherchen haben zudem mindestens 46 Schiffe der Schattenflotte ausfindig gemacht, deren Besatzungen von Unternehmen stammen, die ihren Sitz in Ländern haben, die sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Zurück an Bord der Orion. Dort seien das saubere Wasser knapp und Lebensmittel nicht selten verdorben gewesen, berichtet Dmytro. In den Vorratskammern habe es von Kakerlaken gewimmelt. Innerhalb von fünf Monaten an Bord habe er zwölf Kilo abgenommen. „Wir halfen uns gegenseitig mit abgelaufenen Medikamenten an Bord oder denen, die wir von zu Hause mitgenommen hatten.“ Er hätte alles getan, um von dem Tanker runterzukommen, „ich habe sogar an Suizid gedacht“. Rückenprobleme hätten schließlich dazu geführt, dass er seinen Vertrag vorzeitig habe kündigen können, die Kosten für die medizinische Behandlung musste er selbst bezahlen. „Wenn ein Seemann einen Unfall hat“, sagt Dmytro, „versucht die Firma, Entschädigungen an die Familien zu vermeiden.
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